Salman Schocken
Kaufmann mit Spürsinn und bibliophiler Kulturförderer
Name: Salman Schocken
Lebensdaten:
Geboren: 29. Oktober 1877 in Margonin bei Posen
Verstorben: 6. August 1959 in Pontresina, Schweiz
Wohnorte: Berlin, Leipzig, Zwickau, Jerusalem, Scarsdale bei New York
GND: 118609890
„Sein Leben war eine Saga, nicht nur eine politische; es war auch ein menschliches Drama, und wie ein richtiges Drama mal ironisch, mal tragisch und zuweilen auch absurd.“
Amos Elon über Salman Schocken
Ein Leben im 20. Jahrhundert
Salman Schockens Leben steht sinnbildlich für die Verwerfungen und kulturellen Höhepunkte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. An seiner Biographie lassen sich wirtschaftlicher Aufschwung und innovativer Unternehmergeist ablesen, kulturelle Beflissenheit und genuine Neugierde sowie die Suche nach einem Ort im „Zeitalter der Extreme“ (Eric Hobsbawm).
Schocken war in den 81 Jahren seines Lebens vieles – Kaufmann, Gründer und Konzernchef; Verleger, Bibliophiler und Mäzen; Weltreisender, Exilierter und Suchender. Obwohl er den Großteil seines Lebens außerhalb Sachsens lebte, war doch seine Tätigkeit hier entscheidend für seinen wirtschaftlichen Erfolg.
Die Warenhäuser
Salman Schocken wurde 1877 als jüngstes Kind einer jüdischen Familie in Margonin geboren, einer kleinen Ortschaft in der damaligen preußischen Provinz Posen. Trotz seiner Ambitionen konnte er aufgrund der finanziellen Situation der Familie nicht das Gymnasium besuchen, sondern absolvierte eine kaufmännische Lehre. Nach einer kurzen Station in Gnesen (Gniezno) und Berlin kam Schocken nach Leipzig, wo er als Kaufmann arbeitete. 1902 folgte er dem Ruf seines Bruders Simon (1874-1929), der in Zwickau das Kaufhaus der Gebrüder Ury übernommen hatte und Salman bat, ihn in der Geschäftsführung zu unterstützten. 1904 eröffneten sie ihr erstes eigenständiges Kaufhaus Schocken in Oelsnitz im Erzgebirge. Bis 1933 folgten über 30 Warenhäuser im Deutschen Reich, davon der Großteil in Sachsen, etwa in Auerbach, Aue, Crimmitschau, Frankenberg, Freiberg oder Meißen.
Mit den Kaufhäusern verfolgten die Schocken Brüder einen besonderen Ansatz. Das Angebot richtete sich, anders als bei Konkurrenten wie Tietz oder Wertheim, an die gesamte Bevölkerung. Qualitativ hochwertige Waren sollten zu erschwinglichen Preisen angeboten werden. Das wurde durch eine kluge Einkaufspolitik erreicht, die langfristige Verträge mit Zulieferern vorsah. In der Firmenzentrale in Zwickau liefen dabei alle Fäden zusammen. Dort wurde vom Einkauf über die Werbung oder gar die Schaufenstergestaltung alles streng geprüft und den Filialen vorgegeben. Schocken richtete sogar eigens ein Labor ein, um angekaufte Waren, später auch die Schocken-Eigenmarken, zu testen und weiterzuentwickeln. Der erste Leiter des Labors, Dr. Erich Kann, emigrierte 1933 nach Großbritannien und führte seine Arbeiten dort für den renommierten Konzern Marks & Spencer fort.
Das Labor ist nur ein Beispiel des Innovationsgeistes der Schocken Bruder. Auch in der Gestaltung der Warenauslage und der Schocken-Marke griff man moderne Einflüsse auf. Das zum Markenzeichen gewordene Schocken-S war inspiriert durch das Bauhaus. Klare Formen fanden sich auch in der Gestaltung der Kaufhäuser selbst. In den 1920er-Jahren begann die Zusammenarbeit mit dem jungen Architekten Erich Mendelsohn, der für Schocken u.a. die Warenhäuser in Nürnberg (1926), Stuttgart (1928) und Chemnitz (1930) gestaltete. Auch nach dem Gang in die Emigration blieb Mendelsohn für Salman Schocken ein vertrauter Partner und baute u.a. Schockens Villa und die noch heute beeindruckende Bibliothek in Jerusalem.
"Meine Bibliothek ist mein Leben" - Bücher als Lebenssinn
Bücher, so die Biographin Stefanie Mahrer, waren Salman Schockens „eigentliches Lebensthema“. Schocken selbst bilanzierte einmal: „Meine Bibliothek ist meine Autobiographie.“ Und tatsächlich war seine Leidenschaft für Bücher in ihrer Gesamtheit – vom Inhalt über die Schrifttype bis zum Einband – eine der zentralen Konstanten in seinem Leben. Schon frühzeitig hatte er damit begonnen, Bücher zu sammeln und sich autodidaktisch fortzubilden. Die ihm verwehrt gebliebene Hochschulbildung kompensierte er durch einen enormen Wissensdurst. Diese Bibliophilie wollte er auch an seine Kundschaft weitergeben. Seine Warenhäuser, so Schocken, sollten nicht nur dem Konsum dienen, sondern zugleich auch das kulturelle Niveau der Stadt heben. Daher wurde neben den Artikeln des täglichen Bedarfs stets eine sorgfältig kuratierte Auswahl an Büchern angeboten. Schocken selbst beschäftigte sich eingehend mit der deutschen Klassik, besonders mit Goethe. Er sammelte dessen Handschriften und suchte immer wieder Inspiration in seinen Werken.
Zeitlebens beschäftigte sich Schocken auch mit dem Judentum und seinen Schriften. Dem im späten 19. Jahrhundert aufkommenden Zionismus, vor allem seinem Vertreter Theodor Herzl, stand er anfangs indes kritisch gegenüber. Noch stärker aber lehnte er die Idee ab, dass die deutschen Juden sich zu assimilieren hätten, um vermeintlich richtige Deutsche werden zu können. Schocken sah sich stets als Deutscher und Jude und dachte nie daran, seine Herkunft zu verleugnen oder preiszugeben. Vielmehr argumentierte er für eine kulturelle Erneuerung des Judentums, wie er etwa im Dezember 1913 in seiner „Maccabäerrede“ in Chemnitz argumentierte. Daher näherte er sich der zionistischen Idee aus einer kulturell-gesellschaftlichen Sicht an. Der politische Zionismus, also das Projekt einer Staatsgründung in Palästina, war für ihn zweitrangig. Nach dem 1. Weltkrieg aber wurde er in den Jüdischen Nationalfonds berufen, der Land für Jüdinnen und Juden kaufte, die sich im damals britischen Mandatsgebiet niederlassen wollte. Schocken sollte die Wirtschaftspolitik des Fonds mitgestalten und reiste 1922 erstmals nach Palästina. Eine Übersiedlung ins Mandatsgebiet kam für ihn in dieser Zeit jedoch noch nicht infrage.
1931 erfüllte sich Schocken einen langen Wunsch und gründete einen eigenen Verlag in Berlin. Der Schocken Verlag gab Klassiker jüdischer Autoren, religiöse und philosophische Schriften heraus und war von Salman Schocken gegründet worden, um die Idee eines kulturellen Zionismus weiter voranzutreiben. In kürzester Zeit präsentierte der Verlag ein beachtliches Programm, darunter die legendär gewordene Schocken-Bücherei. Diese kleinen Bände, die der Reihe des Insel-Verlags nachempfunden waren, umfassten Werke von Moses Mendelssohn, Klassikern der jüdischen und jiddischen Literatur wie Scholem Aleichem oder Mendele Moicher Sforim, Philosophen wie Franz Rosenzweig, Martin Buber oder Gershom Scholem und Vertretern der modernen Literatur Franz Kafka oder Samuel J. Agnon.
Flucht, Exil und zwei Neuanfänge
Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 änderte jedoch Salman Schockens Leben grundlegend. Zwar hielt er zunächst stoisch an der Warenhauskette und dem Verlag fest, zumal besonders die Kaufhäuser trotz erster Boykotte und Drangsalierungen der NS-Instanzen weiterhin gute Umsätze erzielten. 1934 aber ging Salman Schocken nach Jerusalem. Das operative Geschäft leitete er nun von Palästina aus, einzelne Vertraute blieben in Deutschland. Doch auch für sie wurde der Verbleib zunehmend bedrohlich. Schockens langjähriger Generaldirektor, Georg Manasse, floh mit seiner Familie 1935 nach Schweden, 1940 schließlich in die USA. Den anderen etwa 250 jüdischen Angestellten bot Schocken finanzielle und organisatorische Hilfe bei der Emigration an. Ein Großteil dieser Gruppe nahm das Angebot an und konnte so aus Deutschland fliehen.
Im November 1938 wurden zahlreiche Schocken-Filialen zerstört, etwa in Frankenberg, Aue oder Oelsnitz. Der Chemnitzer Justin Sonder (1925-2020) erinnerte sich später: „Ich sah, wie SS-Leute in schwarzer Uniform, SA-Leute in brauner Uniform und viele Männer in Räuberzivil mit Beilen bewaffnet die großen Schaufensterscheiben von Schockens zertrümmerten.“ 1936 verkaufte Schocken eine Mehrheit der Unternehmensanteile an eine britische Bankengruppe, um den Konzern in den Augen der Nationalsozialisten als nicht-jüdisch gelten zu lassen. Nach den Novemberpogromen fand die systematische Ausschließung jüdischer Gewerbetreibender jedoch einen Abschluss und Schocken war gezwungen, sämtliche Anteile an deutsche Banken zu verkaufen. Die Schocken AG wurde ab 1939 als Merkur Aktiengesellschaft weitergeführt. Auch sein Verlag musste 1938 schließen.
Salman Schocken gründete indes 1937 in Tel-Aviv das Schocken Publishing House, um die verlegerischen Tätigkeiten weiterzuführen. Bereits 1935 kaufte er die Tageszeitung Haʾaretz, die sein Sohn Gershom bis 1990 als Chefredakteur führte. 1936 eröffnete er seine Bibliothek in Jerusalem, in der er seine aus Berlin geretteten Buchbestände unterbrachte und durch Ankäufe seltener hebräischer Handschriften erweiterte. Zudem trieb er als Kanzler den weiteren Ausbau der Hebräischen Universität in Jerusalem voran. Doch Schocken blieb seiner Herkunft verhaftet und reiste auch in diesen Jahren mehrfach und für längere Zeit nach Europa. Der Kriegsbeginn 1939 machte dies unmöglich und war wohl entscheidend, dass er, mittlerweile über 60 Jahre alt, 1940 einen weiteren Schritt wagte und nach New York zog. In dieser Zeit widmete er sich zunehmend seiner bibliophilen Leidenschaft. 1943 ließ er von der Graphikerin Franzisca Baruch eine eigene Schrifttype für hebräische Lettern entwerfen. 1945 gründete er schließlich abermals einen Verlag, die Schocken Books, und versuchte, mit seinem Programm jüdischer Klassiker den amerikanischen Markt zu erobern. Doch das Publikum dieser Zeit war kaum an diesen Titeln interessiert und so blieb der Verlag vor allem eine Insel für Salman Schocken und eine Reminiszenz an den Berliner Verlag der 1930er-Jahre.
Nach dem Zweiten Weltkrieg brach eine neue Zeit an, in der sich Salman Schocken zunehmend schlechter zurechtfand. Beruflich, biographisch und intellektuell war er in der bürgerlich-konservativen sowie jüdischen, kulturell-zionistischen Welt des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sozialisiert worden. Mit dem Kriegsende 1945 war diese Welt an ihr Ende gelangt. Wirtschaftlich gelang ihm in dieser Phase nur noch wenig. 1949 wurden ihm zwar die Anteile der Warenhäuser, die nun in der Bundesrepublik standen, zurückerstattet. Doch bereits 1953 verkaufte er alle Anteile an die Horten Warenhäuser. Der Großteil der früheren Filialen befand sich zudem in der DDR und wurde als Staatseigentum enteignet. Der Schocken Books Verlag in New York gab ab 1952 kaum mehr als zwei bis vier neue Titel im Jahr heraus. 1957 erschien mit einer Kafka-Ausgabe das vorerst letzte Buch. Heute gehört der Verlag zu einer globalen Kette. Versuche, ihn zu kaufen und wiederzubeleben, sind vorerst gescheitert.
Salman Schocken starb 1959 während einer Sommerreise in Pontresina in den Schweizer Alpen. Als man ihn fand, soll er in den Händen Goethes "Faust II" und Martin Bubers "Geschichten des Rabbi Nachman" gehalten haben. Bis zuletzt lebte Schocken für Bücher.
Schocken in Sachsen - eine digitale Ausstellung
Zum Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen bereitet das Staatliche Museum für Archäologie (smac) eine digitale Ausstellung zum Schocken-Konzern in Sachsen vor. Dazu werden v.a. die Akten des Konzerns im Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz ausgewertet.
»Betrieb und Idee«. Salman Schockens Universum im Jerusalemer Archiv
Das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow erarbeitet eine Publikation und Ausstellung zu Salman Schockens Archiv in Jerusalem und ihn als "transnationalen Wissensspeicher" zeigen. Das Projekt wird geleitet von der Historikerin Dr. Caroline Jessen.
Quelle:
- Schocken, Gershom: Ich werde seinesgleichen nicht mehr sehen, in: Der Monat 20:242 (1968), S. 13-30
- Mahrer, Stefanie: Salman Schocken. Topographien eines Lebens, Berlin 2021
- Dahm, Volker: Das jüdische Buch im Dritten Reich, München 1993
- Borrmann, Antje / Mölders, Doreen / Wolfram, Sabine (Hrsg.): Konsum und Gestalt. Leben und Werk von Salman Schocken und Erich Mendelsohn vor 1933 und im Exil, Berlin 2016
- Bildungsangebot des smac - der Museumskoffer "Aufbruch in die Moderne – Jüdische Identitäten in Chemnitz (1871 bis 1933/38)"