Mark Dainow im Interview
Er ist der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und seit Februar Vorsitzender des Kuratoriums von TACHELES 2026.
April 2025:
Seit Februar ist Mark Dainow der Nachfolger von Nora Goldenbogen sel. A. als Vorsitzender des Kuratoriums für das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen. Die 76jährige ehemalige Diplom-Ingenieur (zwei Stunden jünger als der Staat Israel) wurde in Minsk geboren. Seine Familie wanderte 1972 nach Israel aus, ein Jahr später ging es in die Bundesrepublik. Seit 1994 ist er Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, 2010 wurde er in das Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschenland gewählt. Wir haben Herrn Dainow zu einem Interview gebeten:
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Wie ist Ihre persönliche Beziehung zum Freistaat Sachsen?
Mark Dainow: Als Jude, der in Deutschland lebt und die Geschichte dieses Landes sehr intensiv kennt, sehe ich in Sachsen einen Ort des Potentials. Einerseits ist es ein Ort, an dem Rechtsdruck und Antisemitismus schon lange eklatante Probleme sind. Bei der Bundestagswahl 2025 war die AFD in Sachsen erneut stärkste Partei. Andererseits wird jüdisches Leben hier immer spürbarer; in Leipzig, Chemnitz und Dresden gibt es lebendige jüdische Gemeinden. Mir persönlich ist wichtig, dass es in Sachsen mehr Raum für jüdische Themen gibt und die jüdische Religion frei ausgeübt werden kann. Als junger Mann war ich Mitglied in der zionistischen Bewegung »Let my people go« in der früheren UdSSR. Schon damals setzte ich mich für ein freieres jüdisches Leben ein. Die Debatte um die Eröffnung eines jüdischen Museums in Sachsen hat mich sehr beschäftigt. Dass es nun ein sächsisches Themenjahr zu jüdischer Kultur gibt, ist ein entscheidender Schritt.
Welche Erlebnisse verbinden Sie mit dem jüdischen Gemeindeleben in Sachsen?
MD: Kulturelle Angebote, die ich kennengelernt habe und die zeigen, dass jüdisches Gemeindeleben in Sachsen durchaus vorhanden ist. Ich denke da etwa an Gemeindechöre in Chemnitz und Dresden, Gottesdienste über Streaming-Angebote, jüdische Sportvereine in Chemnitz, Dresden und Leipzig. Und ich denke an Rabbiner Zsolt Balla, der sich als Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinschaft zu Leipzig und als Landesrabbiner von Sachsen immer wieder für das Gemeindeleben in Sachsen einsetzt und Judentum im Freistaat Sachsen stärker positioniert. Er ist übrigens auch Militärbundesrabbiner und mitentscheidend für den Aufbau der jüdischen Militärseelsorge in der Bundeswehr.
Was erhoffen Sie sich vom Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen?
MD: Ein Zeichen zu setzen, dass auch in Sachsen jüdische Kultur und jüdisches Leben eine große Rolle spielen. Den Menschen Zugang zur jüdischen Kultur zu ermöglichen um sich ein offenes, vorurteilfreies Bild zu machen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Sie sind 1973 in die Bundesrepublik gezogen und stammen aus der Sowjetunion. Ein Großteil der heute in Deutschland lebenden Juden sind nach 1990 aus der Sowjetunion nach Deutschland eingewandert, auch in Sachsen. Wie sehr prägt diese Gruppe das jüdische Leben in Deutschland?
MD: Seit dem Ende der DDR und dem Zerfall der Sowjetunion vergrößerte sich die jüdische Gemeinschaft Deutschlands durch die Immigration sogenannter Kontingentflüchtlinge stark. Dies veränderte das Gemeindeleben. Es beförderte etwa die Säkularisierung, aber auch die Pluralisierung des Judentums in Deutschland. Was mich besonders freut, heute kann man in der jungen Generation nicht mehr sehen, woher die Familie kommt. Die Integration ist weitestgehend gelungen – ein großes Glück.
Beim Zentralrat der Juden sind Sie für die jüdischen Gemeinden in Ostdeutschland zuständig. Haben die Gemeinden im Osten andere Herausforderungen aber auch Vorteile als die westdeutschen Gemeinden?
MD: Definitiv. Die Gemeinden im Osten sind viel dünner besetzt. Ihnen fehlen teilweise Rabbiner, mehrere Stellen sind nicht besetzt. Das macht es schwieriger, neue Mitglieder zu gewinnen und aktuelle zu halten. Allerdings tut sich in Ostdeutschland viel und die Bereitschaft der Regierung, jüdisches Leben zu fördern, wächst. Die Jüdische Gemeinde in Chemnitz organisierte 2024 gemeinsam mit dem Verein „Tage der jüdischen Kultur Chemnitz“ die nunmehr 33. jüdischen Kulturtage, die Jüdische Gemeinde in Dresden feiert 2026 das 25-jährige Jubiläum der Wiedereröffnung ihrer Synagoge und die Synagoge in Görlitz, die im Jahr 1938 während der Pogromnacht schwer beschädigt wurde, wurde im Jahr 2021 nach jahrelangen Restaurierungsarbeiten wieder eröffnet. Dies trägt alles zu einer stärkeren Sichtbarkeit jüdischen Lebens im öffentlichen Raum in Ostdeutschland bei.
Gibt es ein jiddisches Wort, das Ihnen besonders gut gefällt?
MD: Tacheles, ein Wort für Tatsache/n. Diese zu erkennen ist wichtig.
Und ein Wort aus dem sächsischen Dialekt?
MD: Eiforbibbsch – (sächsischer Ausdruck des Erstaunens).