Interview mit Rabbiner Michael Jedwabny
Seit diesem Sommer ist Michael Jedwabny neuer Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Chemnitz. Wir haben Rabbiner Jedwabny um ein Interview gebeten, dieser Bitte kam er gerne nach.
Seit diesem Sommer hat Chemnitz wieder einen Rabbiner. Denn Michael Jedwabny wechselte von der Jüdischen Einheitsgemeinde in Aachen nach Westsachsen. Der 1976 in Moskau geborene Rabbiner tritt damit in die Fußstapfen von Rabbiner Jakov Pertsovsky. Wir haben Michael Jedwabny um ein Interview gebeten, dieser Bitte kam er gerne nach:
Herzlich willkommen, Herr Rabbiner! Sie sind von der Karlsstadt Aachen in die diesjährige Kulturhauptstadt Europas gewechselt. Was war der Anlass für diesen Umzug?
Michael Jedwabny: Mein Arbeitsvertrag mit der Jüdischen Gemeinde in Aachen ist ausgelaufen, und beide Seiten haben sich darauf geeinigt, ihn nicht zu verlängern. Das gesellschaftliche Klima in der Gemeinde war für alle Beteiligten zu belastend. Nach dem Ende meiner Tätigkeit habe ich der Jüdischen Gemeinde in Chemnitz meine Mitarbeit angeboten.
Auf was freuen Sie sich in Chemnitz und der näheren Umgebung?
MJ: Ich hoffe, hier ein lebendiges Interesse an der jüdischen Tradition zu finden – sowie die Bereitschaft, zu lernen und sich zum Besseren zu verändern.
Welche Aufgaben und Pflichten sind mit dem Amt des Rabbiners einer Gemeinde verbunden?
MJ: Die Aufgaben eines Gemeinderabbiners sind sehr vielfältig. Sie reichen von Seelsorge, Unterricht und Leitung von Gottesdiensten über die Betreuung von Familien in wichtigen Lebensphasen – wie Geburt, Bar/Bat Mizwa, Hochzeit oder Trauer – bis hin zur Beratung des Vorstandes in religiösen und ethischen Fragen. Gleichzeitig sehe ich meine Rolle auch darin, Brücken zu bauen – zwischen Generationen, zwischen Tradition und Moderne und zwischen der jüdischen Gemeinde und der Stadtgesellschaft.
Und was sind die Privilegien?
MJ: Eine der schönsten „Privilegien“ des Rabbiners ist es, Menschen in ihren ehrlichsten Momenten begegnen zu dürfen – beim Suchen, beim Zweifeln, beim Feiern und beim Trauern. Man darf zuhören, begleiten, manchmal inspirieren. Und vielleicht ist das größte Privileg: dass man nie aufhört zu lernen – von den Texten, von der Geschichte, und vor allem von den Menschen selbst.
Wie sehen Sie die Rolle der jüdischen Gemeinde in Chemnitz und in Sachsen?
MJ: So wie der Staat Israel unser nationaler Mittelpunkt ist, sind die jüdischen Gemeinden unsere nationalen „Häuser“ außerhalb des jüdischen Staates. Jede Gemeinde bewahrt nicht nur Tradition, sondern trägt auch Verantwortung für die Zukunft des jüdischen Volkes – durch Bildung, Zusammenhalt und lebendiges jüdisches Leben vor Ort.
Wann haben Sie sich entschlossen den Weg zu beschreiten, um Rabbiner zu werden?
MJ: Schon mit 15 Jahren war mir klar, dass mich dieser Bereich besonders interessiert. Ich hatte ein starkes Interesse an Religion und entschied mich, eine jüdische Schule zu besuchen. Dort begann ich, unser geistiges Erbe kennenzulernen – die Texte, die Traditionen, die Geschichte unseres Volkes. Je mehr ich lernte, desto mehr spürte ich, dass das mein Weg ist. Es war nicht nur ein intellektuelles Interesse, sondern auch eine innere Verbindung. Ich wusste: Das ist meins.
Nächstes Jahr findet das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen statt. Worauf freuen Sie sich dabei am meisten und was erhoffen Sie sich von diesem Jahr?
MJ: Ich hoffe, dass unsere Mitbürger in Sachsen mehr über uns erfahren – wer wir sind, woher wir kommen, wofür wir stehen. Dass sie uns als natürlichen Teil ihres Umfelds wahrnehmen und akzeptieren. Und dass wir auf diese Weise in die gemeinsame Gesellschaft integriert sein können, ohne unsere jüdische Identität verstecken zu müssen.
Denn genau das ist für mich gelebte Demokratie: Einheit in der Vielfalt – in Formen, Stimmen und Perspektiven.
Gibt es ein jiddisches Wort, das Ihnen besonders gut gefällt?
MJ: Der deutsche Wortschatz ist voll von jiddischen Wörtern – manchmal merkt man es gar nicht. Eines der interessantesten ist für mich „Tacheles“. Es kommt vom hebräischen Wort „tachlit“ (תכלית) und bedeutet „Ziel“, „Zweck“, aber im übertragenen Sinn: zur Sache kommen, Klartext reden.
Wenn jemand sagt: „Jetzt red mal Tacheles!“, bedeutet das: „Komm auf den Punkt, rede offen und ehrlich.“ Oder: „Ich mag ihn, der redet Tacheles.“ – also: jemand, der kein Blatt vor den Mund nimmt.
Ich finde es spannend, wie so ein Wort seinen Weg aus dem jüdischen Sprachraum mitten in die deutsche Alltagssprache gefunden hat – und wie viel Kultur darin steckt.
Und gibt es schon ein Wort aus dem sächsischen Dialekt, dass Ihnen zusagt?
MJ: Ein Wort, das ich besonders charmant finde, ist „Bemme“ – das sächsische Wort für ein Butterbrot oder eine Scheibe Brot mit Belag.
In anderen Teilen Deutschlands sagt man vielleicht „Stulle“ oder „Schnitte“, aber hier heißt es eben „Bemme“. Wenn jemand sagt: „Willste ’ne Bemme?“, dann klingt das für mich sehr herzlich und bodenständig. Solche Wörter zeigen, wie lebendig und eigen eine Region sein kann – und wie Sprache Nähe schafft.